Die Kirche im Dorf lassen - ein paar unweihnachtliche Gedanken zum Stadtbild...

Mit dieser Redensart "Kirche im Dorf lassen" wird gemeinhin der gesunde Menschenverstand gemeint. Davon braucht man jedoch viel, wenn man den Stadtbild-Ausspruch von Kanzler Merz so nimmt, wie er durch die Medien ging. Denn was "QualitätsMedien", Herr Dobrindt und die AfD begeistert aufnahmen, war nur der erste Teil von Merz' Äußerung - die er später konkretisiert hat. 

Das passierte einem seriösen öffentlich-rechtlichen Sendeformat: dem Politbarometer des ZDF vom 23. Oktober 2025. Dort wurde veröffentlicht, daß 66% der durch die Forschungsgruppe Wahlen Befragten die Merz-Äußerung gut fanden. Der volle Wortlaut der Frage war aber so: "Bundeskanzler Friedrich Merz hat davon gesprochen, daß es in Deutschland Probleme im Stadtbild gibt. Konret benannt hat Merz jetzt daß es Probleme mit denjenigen gibt, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus haben, nicht arbeiten und sich nicht an unsere Regeln halten. Hat er damit recht oder nicht?"

In der öffentlichen Meinung blieben nun zwei Fakten hängen, die nicht zusammengehören: 1. die erste Äußerung von Merz und 2. die 66% Zustimmung der Befragten. Die - zu späte - "Konkretisierung" durch Merz und das Zusammenwürfeln von Meldungen führte nun dazu, daß sich alle Menschen mit "Migrationsoptik"  (Abdulkarim, Kabarettist) in unseren Städten unwohl fühlen.

Lassen Sie sich das mal von Sarah Bosetti erklären: Das Medienversagen in der "Stadtbild"-Debatte.
Direktlink zur Politbarometer-Umfrage

Nun muß man aber wissen, daß die von Merz in der zweiten Äußerung gemeinten Menschen ohne dauerhaften Aufenthaltsstatus, ohne Arbeit und die sich nicht an unsere Regeln halten, eine Gruppe von nur wenigen hundert Menschen in Deutschland bilden. Auf die Schnelle kann man diese Zahl nicht nachprüfen, denn Merz führt in seiner Aufzählung unterschiedliche Mengen zusammen, die sich nicht zu einer gemeinsamen Teilmenge vereinen lassen. Das hat nicht mal Chat GPT geschafft, sondern mir folgendes geantwortet: "Ich kann dir keine exakte Zahl nennen, da solche kombinierten Kategorien zwar von Behörden erfasst werden, aber nicht immer in einer einzigen, transparenten Statistik zusammengefasst sind. Wenn du willst, suche ich dir aktuelle Zahlen zu einer realistischen Kategorie zusammen, z. B. „Personen ohne sicheren Aufenthalt (ohne Duldung/ohne gültige Aufenthaltserlaubnis) und ohne Erwerbstätigkeit“ für ein konkretes Jahr oder einen Zeitraum."

Mit "die sich nicht an unsere Regeln halten" konnte Merz natürlich die Schwammigkeit seiner Aussage, die er "nicht zurücknehmen wird!", perfektionieren. Aber Merz legte ja noch einen drauf: "Fragen Sie Ihre Töchter!" Dazu habe ich eine kleine Geschichte.

Töchter erzählen Ihnen nicht alles. 
Nach schlimmen Erlebnissen brauchen sie nicht zusätzlich noch inquisitorische Hektik. Sie flüchten sich eher mit Inbrunst in den Alltag. Ich fuhr als 15jährige oft mit dem Zug nach Frankfurt. Auf der Rückfahrt erlebte ich verschiedene Zwischenfälle - keinen davon habe ich meiner Mutter jemals erzählt... Einmal setzte sich ein wohlsituierter deutscher Mann zu mir, der absolut vertrauenswürdig wirkte, wie ein Banker. Dann fing er an zu erzählen und stellte mir seinen "Bierzipfel" vor, und ich solle ihn mal halten, bis er sein Taschentuch aus der Manteltasche gezogen hatte. 
Ein anderes mal stiegen besoffene Fußballfans ins Abteil, einer drückte mir seine Kippe auf dem Hinterkopf aus. 

Und so könnte ich noch einiges aufzählen. Es waren immer Deutsche, aber sie paßten halt ins Stadtbild.
M. Hiller, November 2025